Gastvlogbeitrag von Tanja Hummel
In der letzten Woche hat mich das Thema Vater-Tochter Beziehung einer Klientin tief bewegt. Denn ihre Geschichte ist in Teilen auch meine Geschichte.
Auch wenn wir uns bewusst sind, dass eine gesunde Vater-Tochter Beziehung in unseren heutigen (Paar)Beziehungen eine große Rolle spielt, haben dennoch viele von uns genau DIESE Beziehung in ihrer Kindheit nicht erfahren.
Dabei geht es nicht nur um den Vater, der früh verstorben ist oder Eltern, die sich früh haben scheiden lassen. Es geht meist um die emotional nicht erreichbaren Väter. Väter, die aufgrund ihrer eigenen Geschichte, ihren Töchtern keine Liebe, keine Sicherheit und keine emotionale Bindung geben konnten. Abhängigkeit, Sucht, physische und physische Gewalt sind dabei keine Seltenheit.
Im Gegenzug ziehen wir Töchter uns dann einen dicken Panzer über, der uns vor dem traumatischen Schmerz schützen soll. Uns bleibt nichts anderes übrig. Dieser Panzer ist unsere Überlebensstrategie. Zu tief sind die Verletzungen nicht gesehen, nicht geliebt und nicht beschützt worden zu sein.
Aber was sind Vaterwunden überhaupt ?
Vaterwunden sind emotionale und psychologische Narben, die durch das Verhalten eines Vaters oder seine Abwesenheit entstehen können. Diese Wunden können verschiedene Formen annehmen.
Bei der physischen Abwesenheit eines Vater geht es um Scheidung, Trennung, Tod oder andere Gründe warum der Vater nicht anwesend ist. Bei der emotionale Abwesenheit geht es um eine emotional nicht verfügbar oder nicht einfühlsam Vater. Dieser kann auch ständige Kritik äußern und voller Abwertung gegenüber seiner Tochter sein. Ein vermehrtes Thema ist auch Missbrauch, sowohl physischer, emotionaler oder sexueller Art. Einige Töchter kennen auch die übermäßig strenge Disziplin, in der ein autoritärer Vater wenig Raum für Autonomie und eigene Entscheidungen lässt.
Vaterwunden entstehen oft in der Kindheit, wenn Mädchen von ihren Vätern nicht die notwendige emotionale Unterstützung und Bestätigung erhalten. Die Bindungstheorie von John Bowlby zeigt, wie wichtig sichere Bindungen in der frühen Kindheit sind. Wenn diese Bindung durch das Verhalten des Vaters gestört wird, kann das langfristige Auswirkungen auf die emotionale und psychologische Entwicklung der Tochter haben.
Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl
Eine der größten Auswirkungen von Vaterwunden ist ein beeinträchtigtes Selbstwertgefühl. Frauen, die von ihren Vätern abgelehnt oder kritisch behandelt wurden, können Schwierigkeiten haben, ein positives Selbstbild zu entwickeln. Sie könnten ständig das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein, was zu Unsicherheiten in vielen Lebensbereichen führt. Diese Unsicherheiten können sich in beruflichen Ambitionen, sozialen Interaktionen und persönlichen Beziehungen manifestieren.
Auswirkungen auf Beziehungen
Vaterwunden können auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie Frauen Beziehungen eingehen und pflegen. Frauen mit ungelösten Vaterwunden können Schwierigkeiten haben, anderen zu vertrauen, was zu Beziehungsproblemen führen kann.
Sie könnten sich in ungesunde Beziehungsmuster verstricken.
Sie könnten sich übermäßig abhängig von ihren Partnern fühlen, ständig Bestätigung suchen und Angst vor Verlassenheit haben. Alternativ könnten sie Schwierigkeiten haben, Nähe zuzulassen, und emotionale Intimität vermeiden, aus Angst vor Verletzung.
Es besteht auch die Gefahr, dass sie Beziehungsmuster aus der Kindheit wiederholen und sich Partner suchen, die ähnliche Verhaltensweisen wie ihr Vater zeigen.
Auswirkungen auf die Geschlechtsidentität und Weiblichkeit
Der Vater spielt eine wichtige Rolle bei der Modellierung der Erwartungen an Geschlechterrollen. Negative oder stereotype Ansichten über Frauen, die vom Vater vermittelt werden, können das Selbstverständnis und die Geschlechtsidentität der Tochter beeinflussen. Frauen könnten internalisierte Geschlechtsstereotype entwickeln, die ihre beruflichen Ambitionen und persönliche Entwicklung einschränken.
Ungelöste Vaterwunden können auch die psychische Gesundheit stark beeinträchtigen. Frauen, die unter diesen Wunden leiden, sind möglicherweise anfälliger für Depressionen, Angstzustände und Beziehungsängste. Emotionale Wunden können sich in chronischen Gefühlen der Unsicherheit, Wertlosigkeit und Einsamkeit äußern.
Vaterwunden in verschiedenen Lebensphasen
Die Auswirkungen von Vaterwunden können sich in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich manifestieren. Im Kindes- und Jugendalter können sie zu Schulproblemen, sozialen Schwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten führen. Im Erwachsenenalter können sie die berufliche Laufbahn, Partnerschaften und die eigene Elternschaft beeinflussen.
In der Kindheit und Jugend können Vaterwunden das schulische und soziale Leben eines Mädchens stark beeinträchtigen. Mädchen, die von ihren Vätern vernachlässigt oder missbraucht wurden, können Schwierigkeiten haben, Vertrauen aufzubauen und soziale Bindungen zu entwickeln. Sie könnten in der Schule Probleme haben, sich zu konzentrieren oder gute Leistungen zu erbringen, weil sie mit emotionalem Stress und Unsicherheit kämpfen.
Im Erwachsenenalter können Vaterwunden tiefgreifende Auswirkungen auf die berufliche Laufbahn und persönliche Beziehungen haben. Frauen mit ungelösten Vaterwunden könnten Schwierigkeiten haben, ihre beruflichen Ambitionen zu verfolgen, weil sie an ihrem eigenen Selbstwert zweifeln. In romantischen Beziehungen könnten sie sich in ungesunden Mustern wiederfinden, die durch das Verhalten ihres Vaters geprägt wurden.
Die Beziehung zur Mutter kann durch Vaterwunden ebenfalls beeinflusst werden. Wenn ein Vater emotional oder physisch abwesend ist, kann dies die Mutter-Tochter-Beziehung belasten. Die Mutter könnte überfordert sein und Schwierigkeiten haben, die emotionalen Bedürfnisse ihrer Tochter zu erfüllen. Dies kann zu zusätzlichen emotionalen Wunden führen und die Heilung erschweren.
Praktische Schritte zur Heilung von Vaterwunden
Die Heilung von Vaterwunden erfordert Zeit, Geduld und bewusste Anstrengung. Hier sind einige praktische Schritte, die Frauen unternehmen können, um den Heilungsprozess zu unterstützen.
Der erste Schritt zur Heilung besteht darin, sich der eigenen Vaterwunden bewusst zu werden. Dies erfordert Ehrlichkeit und die Bereitschaft, sich den schmerzhaften Erinnerungen und Gefühlen zu stellen, die mit den Wunden verbunden sind. Es ist wichtig, die mit den Vaterwunden verbundenen Emotionen auszudrücken, anstatt sie zu unterdrücken. Dies kann durch Gespräche mit vertrauenswürdigen Freunden oder Therapeuten, durch Schreiben oder durch kreative Ausdrucksformen wie Malen oder Musik geschehen. Selbstmitgefühl bedeutet, sich selbst mit Freundlichkeit und Verständnis zu begegnen, besonders in Zeiten des Leidens. Frauen können lernen, sich selbst zu verzeihen und sich nicht für die Verletzungen verantwortlich zu machen, die sie erlebt haben. Das Setzen und Einhalten gesunder Grenzen ist ein wichtiger Schritt zur Heilung. Frauen müssen lernen, ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen und zu respektieren, und sich von Menschen und Situationen fernzuhalten, die ihre Wunden verstärken. Das Aufbauen und Pflegen positiver Beziehungen kann helfen, das Vertrauen wiederherzustellen und emotionale Unterstützung zu bieten. Frauen sollten sich bemühen, Beziehungen zu Menschen zu pflegen, die sie respektieren, schätzen und unterstützen. Selbstfürsorge ist ein wesentlicher Bestandteil des Heilungsprozesses. Frauen sollten regelmäßig Aktivitäten einplanen, die ihnen Freude und Entspannung bringen, wie zum Beispiel Sport, Hobbies, Zeit in der Natur oder Meditation.
Die Rolle von Vätern in der Heilung
Väter, die erkennen, dass sie ihren Töchtern emotionalen Schaden zugefügt haben, können ebenfalls einen Beitrag zur Heilung leisten. Hier sind einige Schritte, die Väter unternehmen können, um den Heilungsprozess zu unterstützen:
Anerkennung und Reue
Der erste Schritt besteht darin, die eigenen Fehler und das verursachte Leid anzuerkennen. Dies erfordert Ehrlichkeit und die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen.
Aufrichtiges Bedauern zeigen
Väter sollten aufrichtiges Bedauern für das verursachte Leid zeigen und sich bei ihren Töchtern entschuldigen. Eine aufrichtige Entschuldigung kann ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung von Vertrauen und zur Heilung der Beziehung sein.
Unterstützung anbieten
Väter können aktiv Unterstützung anbieten, indem sie ihren Töchtern zuhören, sie ermutigen und ihnen helfen, die notwendigen Ressourcen für ihre Heilung zu finden.
Positive Verhaltensänderungen
Es ist wichtig, dass Väter ihr Verhalten ändern und positive, unterstützende und liebevolle Verhaltensweisen zeigen. Dies kann helfen, die Beziehung zu ihren Töchtern zu stärken und Vertrauen wiederherzustellen.
Fazit
Vaterwunden können tiefgreifende und langanhaltende Auswirkungen auf das Leben von Töchtern haben. Sie können das Selbstwertgefühl, die Fähigkeit, gesunde Beziehungen zu führen, und die allgemeine psychische Gesundheit beeinträchtigen. Doch mit Bewusstsein, Selbstreflexion, Unterstützung und gezielten Heilungsstrategien ist es möglich, diese Wunden zu heilen und ein erfülltes und gesundes Leben zu führen. Es ist ein Prozess, der Zeit und Geduld erfordert, aber er kann zu einem tieferen Verständnis und einer größeren Selbstakzeptanz führen. Es ist ein Prozess, der Zeit und Geduld erfordert, aber er kann zu einem tieferen Verständnis und einer größeren Selbstakzeptanz führen. Die Rolle des Vaters in der Heilung ist ebenfalls wichtig, da eine aufrichtige Entschuldigung und positive Verhaltensänderungen dazu beitragen können, das Vertrauen wiederherzustellen und die Beziehung zu stärken.
Meine Geschichte - Frieden mit meinem Vater
Mich hat die nicht existierende emotionale Bindung zu meinem Vater einige ungesunde Beziehungen gekostet. Als ich dann auch noch realisierte, dass mein familiäres Suchtumfeld eine tragende Rolle in meinem Beziehungsverhalten gespielt hatte, tauchten diese Fragen immer wieder auf:
Wie sollte und wollte ich mit meinem Vater weiter umgehen?
Ist Heilung wirklich möglich?
Für mich war klar, so lange wie er lebte, wollte ich versuchen mit ihm Frieden zu schließen. Ich hatte in meiner Vergangenheit der Opferrolle genug Raum gegeben. Ich war davon müde. Ich, und nur ich, kann die Verantwortung für mein Leben und meine (Paar)Beziehung übernehmen. Niemand sonst!
Ich ging erst meinen inneren Weg und dann auch den Weg im Kontakt mit meinem Vater. Ich erzählte meiner Klientin, dass ich mit meinem Vater neue Erfahrungen sammeln wollte. Vor vielen Jahren hatten wir uns dann auf den Weg gemacht, längst vergessene Lieblingsorte meines Vater aufzusuchen. Es ging nicht darum irgendetwas aus der Vergangenheit zu klären oder stundenlange Diskussionen über Versäumnisse zu führen. Es war die Erfahrung selbst - die der Vater-Tochter Beziehung.
Vor seinem frühen Tod konnten wir leider nur zwei dieser Ausflüge zusammen genießen. Dennoch ging meine Friedensarbeit bis zu seinem Tod weiter und sie hält immer noch an.
An seinem Sterbebett konnte ich ihn als meinen Vater endlich sehen. Auch wenn ich mit seinem Verhalten oft nicht einverstanden war und dieses oft nicht vergessen und tolerieren konnte, war ich am Ende in Frieden mit ihm.
Durch die Heilung der Vater-Tochter Beziehung, durch das Mitgefühl für SEINE und gleichzeitig auch für MEINE Geschichte und letztendlich durch die uneingeschränkte Übernahme meiner Verantwortung, konnte sich mein Leben in Beziehungen zum Guten verändern.
Ich erlebe in den Prozessen mit meinen Klientinnen oft große Widerstände, wenn es darum geht mit den Eltern Frieden zu schließen. Das verletzte, innere Kind übernimmt dabei zu oft die emotionale Führung und kann dabei die Entscheidung nicht an das erwachsene Ich übergeben. Manchmal braucht es länger, vor allem wenn der Schmerz sehr tief sitzt und es dabei um physische und psychische Verletzungen geht. Und ja, dass fühle ich sehr und verstehe ich uneingeschränkt. Manchmal kann es eben genau durch diese Erfahrungen zu keinem wirklichen Frieden kommen - und das ist auch ok so.
Nicht jede Frau muß MEINEN Weg mit ihrem Vater gehen. Dennoch ist es wichtig sich bewusst zumachen, dass es nicht nur um die Heilung des inneren Kindes geht sondern auch um die Heilung und den Frieden mit Vater UND Mutter.
Die Autorin Tanja Hummel
Tanja lebt seit 2016 mit ihrem indonesischen Mann, 2 Hunden und 5 Katzen auf Bali. Nach dem Aufbau einer erfolgreichen Psychologischen Praxis & Yogastudio entschied sich Tanja nach über 12 Jahren erfolgreicher Selbständigkeit, das Geschäft zu verkaufen und in die weite Welt zu ziehen.
Tanja hat ihr "Frau Sein" in Form der Weiblichen Souveränität auf Bali neu entdeckt und bietet Somatische Psychotherapie, Embodiment in Form ihres eigenen Yogastils und Somatische Meditationen für Frauen online und offline in Deutschland und Bali an.
Seit über 20 Jahren arbeitet Tanja psychotherapeutisch mit Menschen auf Körper, Geist und Seelenebene. Heute unterstützt sie ausschließlich Frauen souveräner und authentischer zu werden. Dabei geht es um die Stärkung des eigenen Sicherheitsgefühls und das in (Paar)Beziehungen.
Homepage: https://www.tanjahummel.com
Instagram: https://www.instagram.com/tanja_hummel
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❤️Trauma, Streß und Nervensystem
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